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cover_buch1Einleitung: Ein Essay

Schon die Menschen der Steinzeit haben an die Wände ihrer Höhlen Bilder gemalt. Offensichtlich genügt es dem Menschen nicht, die Formen und Farben, die Erscheinungen und Gestalten der ihn umgebenden Welt zu betrachten, sie zu bewundern, sich an ihnen zu erfreuen, er malt Bilder, d.h. er wählt Farben, entwirft Formen und bannt sie auf die Fläche eines Stücks auf einen Rahmen gespannter Leinwand, er greift nach den ihn umgebenden Materialien, formt oder formt sie um, ordnet und setzt sie zusammen, zwingt sie schließlich in einen Rahmen und schafft so ein Bild von der Welt, nicht wie sie ist, sondern wie er sie sieht oder wie er sie sich wünscht, schafft also im Bild seine Welt, seinen Menschen.

Auch Siegbert Porada bietet uns in seinen Bildern seine Sicht der Welt, seine Sicht vom Menschen, in die der vorliegende Bildband einen Einblick gewähren möchte. Die darin enthaltenen Bilder stellen jedoch nur eine Auswahl aus dem umfangreichen Werk des Künstlers dar, ein Teil seiner Bilder ist in Privatbesitz übergegangen oder muss, bedingt durch den Wohnungswechsel von Schlesien in die Bundesrepublik, als nicht mehr erreichbar, nicht mehr verfügbar erachtet werden. Dies betrifft vor allem die erste Periode seines Schaffens, in der er Landschafts- und Stadtbilder in Öl teils in impressionistischer, teils in analytischkubistischer Manier eines Lyonel Feiningers malt. Auch die folgenden Perioden werden im Katalog keineswegs vollständig erfasst, dennoch sind die vorhandenen Bilder durchaus repräsentativ für die weitere künstlerische Entwicklung Siegbert Poradas sowohl in thematischer als auch in formaler Hinsicht. Diesbezüglich stellen die Jahre 1970/71 einen Einschnitt, wenn nicht gar einen Bruch dar. Es ist die Zeit, da in Westeuropa und in den Vereinigten Staaten der optimistische Glaube an den Fortschritt, an die unbegrenzten Möglichkeiten der Wissenschaften und der Technik zu wanken beginnen, die technischen Entwicklungen nicht nur als Gewinn, sondern auch als Bedrohung für Mensch und Umwelt empfunden und erkannt werden. Und es ist bedeutsam, dass zur gleichen Zeit in einer weit abgelegenen oberschlesischen Provinz Siegbert Porada diese Bedrohung zum Hauptthema seiner künstlerischen Arbeit wählt. Schon in seiner zweiten Einzelausstellung im Jahr 1971 präsentiert er in Oppeln im Klub der bildenden Künstler neben anderem eine Gruppe von drei Porträts, genannt Obo, Uczela und Bubu, in deren Darstellungsart diese Bedrohung in krasser Weise zum Ausdruck kommt. Auch formal stellt diese Ausstellung für den Künstler einen Neubeginn dar. Er malt nicht mehr, zumindest nicht mehr ausschließlich, er montiert, schraubt, sägt, leimt, er trägt die heterogensten Materialien zusammen, Abfallprodukte, Zufallsfunde, gesammelt bei Spaziergängen, auf Müllhalden, präpariert Knochen, Bohnen, Kastanien und fügt dies alles im Bildrahmen zu unvergleichlichen Kompositionen zusammen. Diese Technik ist nicht ganz neu, sie hat schon zur damaligen Zeit zumindest in Westeuropa eine gewisse Tradition. Schon Picasso und Braque bauten farbige Tapetenstücke und bunte Wachstuchreste in ihre Stilleben ein und begründeten damit die Technik der Collage. Eine Weiterentwicklung dieser Technik finden wir dann in der sog. Objektkunst und in den Materialbildern, vertreten durch Künstler wie Marcel Duchamp, Man Ray, vor allem Kurt Schwitters mit seinen Merz-Bildern und Merz -Plastiken, von Willi Baumeister oder Joan Miro. „Weil das Material unwesentlich ist,“ so schreibt Kurt Schwitters im Jahre 1923 in seiner Zeitschrift Merz, „nehme ich jedes beliebige Material, wenn das Bild es verlangt. Indem ich verschiedenartige Materialien gegeneinander abstimme, habe ich gegenüber der Nur-Ölmalerei ein Plus, da ich außer Farbe gegen Farbe, Linie gegen Linie, Form gegen Form usw. noch Material gegen Material, etwa Holz gegen Sackleinwand werte.“ Während die traditionelle Malerei mit den Mitteln der Perspektive, der Schattierung und Farbverwischung die Illusion von Gegenständen hervorruft und diese irrtümlich als deren tatsächliche Wirklichkeit präsentiert, setzen die modernen Künstler die neuen Techniken bewusst dazu ein, diese Illusion zu zerstören, ihr Ziel ist es, den Farben und Gegenständen ein eigenes Gewicht zu verleihen, die Farben von den Gegenständen und die Gegenstände wiederum aus ihren Nutzfunktionen zu befreien und sie dadurch zu befähigen, im künstlichen Kosmos eines Bildes neue Relationen einzugehen. So können auch die banalsten nutzlos gewordenen Zufallsfundstücke zu bedeutungsvollen Elementen einer neuen Bildwirklichkeit avancieren, eine Herausforderung an den Betrachter, gewohnte Sehweisen, aber auch Wertkategorien aufzugeben und die ihn umgebenden Dinge neu zu sehen. Spulen, Zahnräder, Schalttafeln aus einem unbrauchbar gewordenen Transistorgerät, eingebaut in einen menschlichen Schädel, der zur Maschine mutierende Mensch, der Mensch, der die Technik nutzt, um Macht zu haben über Raum und Zeit oder der sie benutzt, um einfach nur zu konsumieren, die überdimensionalen Kauwerkzeuge in Siegbert Poradas Porträts sind keine Attrappen.

Dennoch wird man die Bilder wohl nicht nur als Angstvisionen oder als expressionistischen Aufschrei des Entsetzens eines bedrohten Individuums deuten können. Schon die Namengebung der o. g. ersten drei Porträts zeigt, dass Siegbert Porada sich nicht ganz vom Thema einfangen lässt, dass er Distanz bewahrt und so Freiräume für die künstlerische Gestaltung des Themas schafft. Und hierin liegen auch die Ansätze für seine weitere künstlerische Entwicklung: das Thema als gestaltendes Prinzip tritt immer mehr in den Hintergrund, während Formen, Linien und Farben aus sich selbst heraus den Aufbau des Bildes bestimmen; gleichzeitig verlieren auch die Materialien, die zufällig aufgelesenen Abfallprodukte durch Anordnung, Glättung, Ölbemalung zunehmend ihren Funktionscharakter, ihre Gegenständlichkeit und werden wie abstrakte Formen gehandhabt oder sie werden je nach Bedarf durch von Hand hergestellte Objekte und Formen ersetzt. Im Verlauf dieser Entwicklung gelingen dann Siegbert Porada immer wieder Kunstwerke von vollendeter Harmonie, die im Zusammenwirken von Formen, Linien und Farben jenseits aller Bedrohungen und Zwänge Freiräume schaffen für das Spiel der Phantasie des Betrachters. Nicht unbedeutsam für Siegbert Poradas künstlerische Entwicklung sind sicherlich auch die am Ende seiner Studienzeit unternommenen Reisen in die Sowjetunion, seine Begegnung mit der russischen Kultur, insbesondere mit den russisch-orthodoxen Kirchen, deren Liturgie, deren Ikonen und Ikonostasen. Der Einfluss der Ikone auf die Gestaltung fast aller en face dargestellten Porträts ist unverkennbar. Die Ikone ist ein Kultgegenstand, das Bildnis eines Heiligen, dargestellt nach strengen in der kirchlichen Tradition verankerten Regeln, das dem normalen Gläubigen im Akt der Verehrung den Zugang zum an sich unfassbaren, übermächtigen Gott erleichtern soll. Davon sind die Porträts weit entfernt. Kein vertrautes und Vertrauen erweckendes Gesicht blickt hier den Betrachter an. Und er mag dies beklagen, aber er kann genauso gut sich dem Spiel der Formen und Farben im Spannungsfeld zwischen Andeutung und Verneinung der Ikonenform und deren Inhalten hingeben und sich daran erfreuen. Neben den Porträts nehmen auch die als Kathedralen bezeichneten Bilder in Siebert Poradas Schaffen von Anfang an einen ebenso großen Raum ein. Während Porträt und Landschaftsbild in der Geschichte der Malerei wohlbekannte Formen sind, die in allen Epochen und Stilrichtungen angewendet, aber auch immer wieder verändert und neu geprägt  werden, ist „Kathedrale“ keine Form der Malerei, sondern der Baukunst. Hier bezeichnet sie als Sitz eines Bischofs die Hauptkirche eines Bistums, einen repräsentativen Bau also, ein Symbol einer vom Glauben her geprägten Ordnung, die alle Bereiche der Wirklichkeit umfasst, dem Menschen, dem einzelnen wie den Gruppen und gesellschaftlichen Schichten seinen Platz zuweist, hierarchisch gliedert und auf Gott hin ausrichtet. Und hierin liegt sicherlich der Bezugspunkt. Während die Porträts den Menschen als Einzelwesen darstellen, und zwar, wie schon erwähnt, in einer bestimmten Situation seiner evolutionären Entwicklung, so versuchen die Kathedralbilder in Anlehnung an die Bauform Kathedrale das Bild einer universalen, über den einzelnen hinausgehenden kosmischen Ordnung hervorzurufen. Ein Teil imitiert und variiert unverkennbar die Bauprinzipien der Gotik. Sie leben von der Dynamik der vertikalen Bewegung genauso wie von der Spannung zwischen den ineinander verwobenen heterogensten Materialien und Formen, andere wiederum erinnern nur allzu sehr an die Ikonostasen, die Ikonenwände in den russisch-orthodoxen Kirchen, die einen Kosmos heiliger Gestalten darstellen und darüber hinaus, indem sie das Kirchenschiff von der Apsis trennen, im Raum der Kirche eine heilige Ordnung schaffen, in der jeder seinen entsprechenden Platz hat. Nur dass die Ikonostasen von Siegbert Porada nicht von Heiligen, sondern von allerlei obskuren Gestalten bevölkert sind, die in ihrer Anordnung weder Rang noch Ordnung erkennen lassen. Diese Rückgriffe auf sakrale Formen könnte man als eine Art Trauerarbeit deuten, Trauer nach dem Verlust kindlicher Geborgenheit in Kirche und Religion, aber in der freien, künstlerischen Handhabung dieser Formen schafft es Siegbert Porada immer wieder neue Räume zu schaffen, Räume sicherlich nicht der Geborgenheit, doch Räume voller Spannungen und Faszination für eine freie Existenz des menschlichen Geistes.

Gottfried Porada

Zuletzt aktualisiert am Sonntag, den 14. November 2010 um 13:59 Uhr